Interview mit S.E. Dr. Jawad Al Anani über Digitalisierung, euro-mediterrane Kooperation & Frauen als Unternehmerinnen von morgen.
EMA: Im Hinblick auf die generelle wirtschaftliche Lage, gelten viele arabische Länder im Vergleich zu Deutschland und Europa als Entwicklungsländer. In Fragen der Digitalisierung sieht es allerdings ganz anders aus. Ist IT-Kooperation und Technologie eine Möglichkeit, die Lücke zu schließen? Was kann Deutschland am jordanischen Beispiel lernen?
S.E. Dr. Jawad Al Anani: Während das Interesse an IT und smarten Technologien in der arabischen Welt, besonders in Jordanien, wächst, wird die IT-Lücke zu Europa nicht kleiner. IT-Forschungsmethoden, verfügbare Geldmittel und die Anzahl bemerkenswerter Innovatoren ist in Europa auf einem deutlich höheren Level. IT wird immer noch als eigener Bereich angesehen und nicht als querverbundener Sektor, der alle Wirtschaftssektoren betrifft. In einem Land wie Jordanien, wo es viele IT-Talente gibt, werden der IT-Bereich und die zugehörigen Methoden noch immer nicht in die Produktionskette eingefügt. Ein Land wie Jordanien sollte einen großen Schritt machen, seine Produktionen und Dienstleistungen qualitativer und wettbewerbsfähiger zu machen. Um die hohe Arbeitslosigkeit zu bewältigen, vor allem von Hochschulabsolventen, muss Jordanien aufrüsten, damit junge Menschen von den modernen Technologien profitieren. Smarte Technologie sollte in verschiedene BeWie kann und sollte Deutschland sich mehr in der Region engagieren in Anbetracht dessen, dass Deutschland kein Land des Mittelmeerraumes ist? Der Ruf deutscher Technologien in der arabischen Welt und der südlichen Mittelmeerregion sind extrem positiv. Die Präsenz deutscher Universitäten und Fachhochschulen in einigen arabischen Ländern hat sich als exzellente Idee herausgestellt. Deutschland kann in der Mittelmeerregion vieles bewegen, entweder direkt oder unter der Flagge der Europäischen Union. Um das zu schaffen, kann Deutschland Trainingszentren mit EU-standardisierten Abschlüssen schaffen beispielsweise für Technologie oder Handwerk. Das würde dabei helfen, mehr Investment für die Region zu generieren und die Produktion von Waren nach EU-Standards zu vereinfachen. Insbesondere ist eine neue Ausrichtung der internationalen Arbeitsteilung zwischen Mittelmeer- und EU-Ländern wichtig, damit man von den demographischen Entwicklungen beider Regionen profitieren kann. Deutschland kann des Weiteren seine Technologieexporte in entscheidenden Bereichen ausweiten. Dazu gehören Umreiche aufgenommen werden, darunter die Düngemittelherstellung, Viehhaltung, landwirtschaftliche Produktion und Energieversorgung, aber auch die Bereiche Wassermanagement, Recycling, Gesundheitsdienste, Tourismus und Bildung. Diese Maßnahmen würden zu höher bezahlten Jobs, besserer Produktivität und erhöhter Produktionsdiversifizierung in der Wertschöpfung von Gütern und Dienstleistungen führen. Dies sollte der Fokus von Jordanien und der arabischen Welt im Allgemeinen sein, besonders wenn man eine produktive Volkswirtschaft sein möchte.
Wo sehen Sie Jordanien im Jahr 2030 im Bezug auf seine wirtschaftliche und politische Rolle in der Mittelmeerregion? Wie sieht der generelle Ausblick Jordaniens in den entscheidenden Wirtschaftssektoren wie Erneuerbare Energien, Wassermanagement und Logistik aus?
Es ist offensichtlich, dass auf Jordanien ein regelrechter demographischer Tsunami hereinbricht, denn die Bevölkerung ist von 2010 bis 2019 von 6,5 Millionen auf elf Millionen Einwohner angewachsen. Wenn man von null Prozent Migration ausgeht, könnten 2030 14 Millionen Einwohner in Jordanien leben. 70 Prozent davon wären jünger als 24 Jahre. Zum Vergleich: In Deutschland sind 70 Prozent der Bevölkerung unter 44 Jahren. Das bedeutet, dass der Bedarf für Jobs, Energie, Wohnungen, Wasser, öffentliche Verkehrsmittel, Gesundheit und Bildung sich in weniger als 20 Jahren mehr als verdoppelt. Aufgrund dessen muss Jordanien, das regelmäßig mit Wasser- und Energieknappheit zu kämpfen hat, bessere Verkehrssysteme entwickeln. Diese verbrauchen momentan mehr als 32 Prozent der jordanischen Gesamtenergie. Elektrizität sollte mehr und mehr durch erneuerbare, saubere Energiequellen erzeugt werden. Hier haben Wind- und Solarenergie ein großes Potenzial. Jordanien hat eklatante Probleme in der Wasserversorgung; daher bedarf es der Anwendung von neuen Wasserspar- und Speichermethoden. Nicht nur das, auch die inländische geographische Bevölkerungsverteilung ist stark unterschiedlich. Die Hauptstadt Amman und Zarqa – 30 Kilometer von Amman und Irbid entfernt – werden von etwa 80 Prozent der Gesamtbevölkerung bewohnt. Alle Jordanier leben zusammen auf nur etwa 16 Prozent der Landesfläche des 89.000 Quadratkilometer großen Staatsgebietes. Die südlichen Regionalverwaltungen machen 51 Prozent der Staatsfläche aus, hier leben allerdings nur acht Prozent der Einwohner. In diesen Landesteilen liegen die meisten natürlichen Ressourcen Jordaniens. Die Kosten, diese Ressourcen zur Bevölkerung zu bringen, sind exorbitant. Deswegen müssen die Menschen näher an den Ressourcen wohnen, um ein besseres Ressourcenmanagement zu ermöglichen. Diese Herausforderungen benötigen smarte Städte, bessere Städteplanung, mehr Umweltbewusstsein und deutlich verbesserte Mobilität und Verteilung des Humankapitals.
Wie kann und sollte Deutschland sich mehr in der Region engagieren in Anbetracht dessen, dass Deutschland kein Land des Mittelmeerraumes ist?
Der Ruf deutscher Technologien in der arabischen Welt und der südlichen Mittelmeerregion sind extrem positiv. Die Präsenz deutscher Universitäten und Fachhochschulen in einigen arabischen Ländern hat sich als exzellente Idee herausgestellt. Deutschland kann in der Mittelmeerregion vieles bewegen, entweder direkt oder unter der Flagge der Europäischen Union. Um das zu schaffen, kann Deutschland Trainingszentren mit EU-standardisierten Abschlüssen schaffen beispielsweise für Technologie oder Handwerk. Das würde dabei helfen, mehr Investment für die Region zu generieren und die Produktion von Waren nach EU-Standards zu vereinfachen. Insbesondere ist eine neue Ausrichtung der internationalen Arbeitsteilung zwischen Mittelmeer- und EU-Ländern wichtig, damit man von den demographischen Entwicklungen beider Regionen profitieren kann. Deutschland kann des Weiteren seine Technologieexporte in entscheidenden Bereichen ausweiten. Dazu gehören Umweltschutz, landwirtschaftliche Bewirtschaftung in den ariden Klimazonen und die Produktion von sauberer Energie und Wasser. Deutschland kann ernsthafte Schritte wagen, deutsch-mediterrane und europäisch-mediterrane Partnerschaftsvereinbarungen zu treffen, die über einen kurzfristigen und merkantilistischen Ansatz hinaus gehen.
Welchen Anreiz gibt Jordanien Geschäftsfrauen und Gründerinnen? Sind Frauen bei der Gründung von Start-ups im IT-Sektor besonders aktiv?
Es gibt einige exzellente Erfolgsgeschichten, bei denen Frauen IT-Initiativen mit großem Erfolg starteten und weiterentwickelten. Jordanien ermutigt junge Menschen mit Talent, sich in Start-ups zu engagieren. Einige Statistiken besagen, dass Frauen in diesem Feld mehr Beharrlichkeit zeigen. Das Potenzial für Frauen, eine IT-Karriere zu starten und kleine und mittelständische Unternehmen aufzubauen, ist groß, da Frauen in öffentlichen Prüfungen und bei Universitätsabschlüssen bessere Ergebnisse erzielten. Aufgrund der Tatsache, dass die Mobilität von Frauen eingeschränkt ist, besonders in konservativen ländlichen Gegenden, scheinen mehr Unternehmen von zuhause oder aus der Stadt heraus zu entstehen. Hausgemachtes Essen hat zum Beispiel von den IT-Netzwerken profitiert, indem die Nachfrage nach diesen Dienstleistungen gestiegen ist. Es gibt viele ähnliche Aktivitäten, die Frauen von zuhause aus anbieten, wie Blumenschneiden, den Anbau von Gurken und natürlichen Kräutern, die Herstellung ornamentaler Kleidung und anderen Baumwollindustrien, die vom Internet profitieren. Dennoch haben Frauen ein noch größeres Potenzial. Eine gute Idee könnte sein, einen Venture-Capital-Fonds nur für Frauen einzurichten oder einen Industriepark zu errichten, der nur weibliche Unternehmensführungspersonen einsetzt. Die Produktion könnte sich auf Elektronik, Spiele, Spielzeuge, Softwareprogramme und Bücher mit arabischen Inhalten für Kunden mit speziellen Wünschen etc. spezialisieren. Jordanien ermutigt Frauen zu diesem Schritt und die Reaktionen sind positiv, aber könnten noch weitaus mehr befördert werden.
Die Fragen stellte Jens Kutscher.